RDD = TTM @ MHH

EDS, HSP, ALS? Marfan, Diamond-Blackfan, Guillain-Barré?
Diese Begriffe sagen mir wenig bis gar nichts, doch hinter jedem von ihnen stehen ein Reihe bewegter Menschenschicksale. Denn sie gehören zu den zu den etwa 8000 bekannten Seltenen Erkrankungen, die nicht mehr als 5 von zehntausend Menschen betreffen. Auf Englisch heißen diese Erkrankungen auch Orphan Diseases, verwaist, weil sich die Pharmaindustrie ihrer nicht annehmen mag. Denn aus Seltenen Krankheiten ist kein Gewinn zu erwirtschaften.

Heute ist internationaler Tag der seltenen Erkrankungen, oder „Rare Disease Day“, RDD. Aus diesem Anlass luden das Zentrum für Seltenen Erkrankungen der MHH und Orphanet Deutschland in das Bibliotheksgebäude der Medizinischen Hochschule ein. Hier boten sie ein Forum für Patienten, Ärzte und Interessierte. Viele Selbsthilfegruppe präsentierten sich und ihre Arbeit an Informationsständen. Ebenso die zahlreichen Stiftungen, die sich als Förderer und Finanzierer der Forschung an Seltenen Krankheiten betätigen. In Vorträgen, Gesprächen und an Informationsständen gab es die Möglichkeit zum Austausch in freundschaftlicher Atmosphäre.

Anton Aebischer vom Robert-Koch-Institut Berlin präsentierte in seinem anekdotisch angehauchten Vortrag Einblicke in eine besondere Art seltener Krankheiten, zu denen die „Flughafen-Malaria“ gehört: Tropische Krankheiten. Diese treten in Deutschland selten aber mit zunehmender Frequenz auf. Und im Fall der Flughafen-Malaria muss der Erkrankte noch nicht einmal Deutschland verlassen haben, um sich zu infizieren. Denn auf Reisen um die ganze Welt gelangen nicht nur Urlauber in tropische Gebiete. Es gelangen auch tropische Parasiten gemeinsam mit den Urlaubern zurück in deren Heimatländer. Gleichzeitig erlauben global ansteigende Temperaturen mancher wärmeliebenden Insektenart die Ansiedlung in Deutschland, wo sie als Vehikel für die Verbreitung der Parasiten von Mensch zu Mensch dienen kann. Aebischer appellierte an alle möglicherweise Betroffenen, den Ärzten ausreichend Informationen über ihre Aufenthaltsorte zu liefern. Nur so sei eine umfassende Anamnese möglich, die den aufmerksamen Arzt zur richtigen Diagnose führen kann.

Für die Betroffenen von genetisch oder durch Umweltfaktoren bedingte Seltene Krankheiten ist der Weg von den ersten Symptomen bis zur Diagnose fast immer ein besonders langer und steiniger. Unspezifische Symptome ihrer Krankheit, gepaart mit mangelndem Bewusstsein vieler Ärzte für die Vielfalt Seltener Krankheiten und ihrer Ausprägungen, erschweren diesen Weg. Oft schätzen Ärzte die Probleme der Patienten als psychisch oder psychosomatisch ein, mit der Folge, dass fälschlicherweise Psychopharmaka verabreicht werden. Diese verschlimmern den Zustand der Erkrankten womöglich, und der eigentliche Grund der Symptome bleibt länger ungeklärt. Oder es gibt gar keine Diagnose, wie im fall von Barbara Kleffmann. Die Vorsitzende der Ehlers-Danlos-Selbsthilfe e.V. wurde „49 Jahre lang nicht falsch, aber auch nicht richtig behandelt,“ bis schließlich ein Zufall die Diagnose ihres Ehlers-Danlos-Syndroms zutage förderte.

Ihre gemeinsame Eigenschaft, die Seltenheit, ist der wichtigste Hinderungsgrund für die Entwicklung präziser Routinetests: Sie lohnt sich einfach nicht für kommerzielle Pharmaunternehmen. Zudem reichen die Fallzahlen oft nicht für aussagekräftige klinische Studien. Trotzdem, gerade deswegen, muss es „ein Recht auf Diagnose geben,“ meint Henry Wahlig. Er ist selber Träger eines Gendefektes, der zur Hereditären Spastischen Spinalparalyse führt, der fortschreitenden Verkümmerung des ersten Motorneurons und daraus resultierender Lähmung. Viele Tests würden von den Krankenkassen nicht bezahlt, weil das Ergebnis keinen unmittelbaren Therapievorteil verspräche. „Unsere Krankheit ist ohnehin nicht heilbar,“ hält Wahlig dagegen. Die präzise Diagnose sei jedoch wichtig für die Lebensqualität der Betroffenen. Probleme mit den Krankenkassen waren das Thema vieler Gespräche und aller Vorträge von Erkrankten. Sehr deutlich wurde in den Vorträgen der Betroffenen immer wieder der Bedarf an schneller unbürokratischer Hilfe in allen Lebenssituationen. Jörg Schmidtke, Leiter des Zentrums für Seltene Erkrankungen an der MHH, schlug spontan vor, Medizinstudenten als Vermittler und Fürsprecher für Patienten und Angehören zu engagieren.

Oliver Jünke, der seit 2004 an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt ist, erzählte von seiner schwierigen Entscheidung für das Leben – mit Beatmungsmaschine und Magensonde. Rundum auf technische Hilfsmittel angewiesen lebt er trotzdem ein selbstbestimmtes Leben. Er ist Gründer und Vorsitzender des Vereins ALS-mobil, reist viel und berät andere Menschen, die von ALS betroffen sind.
Im Gespräch mit Oliver Jünke konnte ich eines seiner Hilfsmittel etwas näher erkunden: seinen Sprachcomputer. Durch Bewegung seines linken Auges gibt er Buchstaben und Symbole ein, der Computer liest das Geschriebene vor. Respekt Herr Jünke!! Doch eine gewisse Herausforderung für mich als ungeduldigen Menschen…. Der Lautsprecher war bei dem hohen Pegel an Umgebungsgeräusch nicht sehr gut zu hören und ich schaute stattdessen auf den Bildschirm, auf dem Herr Jünke seine Worte eintippte und der mich so faszinierte. So konnte ich zwar schneller erkennen, was er gerade eingab, ihm dafür aber nicht ins Gesicht schauen. Trickreich!

Ich haben allergrößten Respekt vor den Menschen, die ich heute kennengelernt habe: Erkrankte, die für sich selber und andere kämpfen; Ärzte, die sich medizinisch und persönlich für ihre Patienten engagieren; und Interessierte, die sich in Vereinen und Stifungen für die Belange der Betroffenen starkmachen.
Für mich war dieser RDD deshalb vor allem eins: Ein TTM, ein Tag der tollen Menschen.

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